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Verlegung der Dornbirner Kinderonkologie: "Schauen Sie dem Kind in die Augen und erklären ihm das"

Große Sorgen plagen derzeit jene Vorarlberger Familien, die ein krebskrankes Kind haben. Denn wie vergangene Woche bekannt wurde, soll die Chemotherapie für krebskranke Kinder vom Krankenhaus Dornbirn nach Innsbruck verlegt werden.
Kinderchemo nach Innsbruck verlegt
Chemotherapie in Dornbirn vor dem Aus
„Sie wissen nicht, was sie den Kindern damit antun“
Eltern gegen Schließung der Kinder-Onkologie

Die Kritik in den sozialen Netzwerken an der Verlegung der Kinderonkologie ist groß. Eine Facebook-Gruppe “VOLKSABSTIMMUNG (Gegen die Schließung der Kinder-Onkologie Dornbirn)” wurde gegründet, um auf die Situation aufmerksam zu machen und sammelt Unterstützer. Bereits in wenigen Tagen sind über 50.000 Menschen beigetreten.

Online-Petition

Gegen die Schließung der Kinderonkologie wurde außerdem eine Online-Petition gestartet: https://www.openpetition.eu/at/petition/online/gegen-die-schliessung-der-kinderonkologie-in-dornbirn

Der Vater eines krebskranken Kindes ging nun mit einem emotionalen Brief an die Öffentlichkeit und appelliert darin an Landeshauptmann Markus Wallner, Landesrat Christian Bernhard und Dornbirns Bürgermeisterin Andrea Kaufmann. Das Posting wurde bereits über 2.500 Mal geteilt.

“Entscheidung lässt uns erschüttert zurück”

Sehr geehrter Herr Landesrat Bernhard,
sehr geehrter Herr Landeshauptmann Wallner,
sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Kaufmann,

wir wenden uns als direkt betroffene Eltern eines krebskranken Kindes an sie. Unser Sohn erkrankte an Knochenkrebs, nach einer – zum Glück in weiten Teilen in Dornbirn durchgeführten – Chemotherapie wurde zwischenzeitlich der Oberschenkelknochen entfernt und durch eine Prothese ersetzt. Die Belastungssituation von Familien mit krebskranken Kindern ist uns nur zu gut bekannt. Die – offenbar bereits getroffene – Entscheidung, die bisher in Dornbirn durchgeführten Chemotherapien nach Innsbruck zu verlagern lässt uns erschüttert und kopfschüttelnd zurück. Ich darf ihnen auch den Hintergrund dieses Unverständnis erläutern.

“Blicken dem Tod ins Auge”

Zunächst möchte ich betonen, dass wir hier von Kindern sprechen, die gerade noch voller Lebensfreude mit ihren Freunden durch eine Wiese getollt sind. Am nächsten Tag blicken sie dem Tod ins Auge, je nach Krebsart für Jahre. Was dies in einer Kinderseele auslöst, lässt sich kaum ermessen. Kinder brauchen keine „europaweiten Trends zu Spezialzentren“ und auch keinen „Strukturplan Gesundheit“. Kinder brauchen Liebe, Zuneigung und Zeit.

Besteht der Verdacht auf eine Tumorerkrankung war es auch bisher bereits so, dass die umfangreichen Erstuntersuchungen, Stellung der Diagnose und Festlegung des Behandlungsplanes im LKH Innsbruck erfolgten. Alle Entscheidungen, welche den Behandlungsablauf beeinflussten wurden entweder direkt durch die zuständigen Ärzte in Innsbruck getroffen, oder zumindest mit diesen abgestimmt. Das hat bisher nach unserer Erfahrung problemlos funktioniert. Obwohl zwischenzeitlich in Dornbirn ein modernes MRT zur Verfügung steht, war es auch bisher schon so, dass notwendige Untersuchungen in Innsbruck vor Ort durchzuführen waren. Selbst die Bereitstellung der zu verabreichenden Zytostatika erfolgte bisher durch das LKH Innsbruck, lediglich die „technische“ Verabreichung erfolgte in Dornbirn.

“80 % des Lebens spielen sich im Krankenhaus ab”

Wir können nicht erkennen, an welcher Stelle bisher die bestmögliche medizinische Versorgung nicht gewährleistet war und warum hier eine Änderung notwendig ist.

Um auf das bereits erwähnte Bild zurückzukommen: das lebensfrohe Kind, eben noch mit Freunden in der Natur unterwegs, kämpft nun ums Überleben. Künftig nahezu ausschließlich in Innsbruck, denn 80% des Lebens spielen sich ab jetzt im Krankenhaus ab. Der Behandlungsverlauf macht oft einen wochenlangen Krankenhausaufenthalt notwendig.

Eltern müssen sich aufteilen

Das heißt künftig ganz konkret:
Mama fährt allein mit dem erkrankten Kind nach Innsbruck. Papa versorgt die Familie daheim, geht vielleicht sogar arbeiten. Das verzweifelte Kind hat Schmerzen, kotzt sich gerade die Seele aus dem Leib (man möge mir den drastischen Ausdruck verzeihen, das ist nun mal die tägliche Kinderonko-Realität). Mama hält den Kopf und das Kind fragt mit großen Kulleraugen: „Wann kommt Papa?“

Bisher war es möglich – zumindest während der Behandlung in Dornbirn – dass Papa täglich zu Besuch kommen konnte. Künftig arbeitet Papa bis 17 Uhr und soll sich dann entscheiden: 2 Stunden (pro Strecke) nach Innsbruck fahren und das verzweifelte erkrankte Kind in den Arm nehmen – dafür das gesunde Kind „vernachlässigen“, allein in Vorarlberg bei irgendeiner Betreuung zurücklassen, oder sich um die Familie in Vorarlberg kümmern und dem verzweifelten Kind in Innsbruck telefonisch erklären, dass sie sich 1 Woche nicht sehen werden. Oder mehrere Wochen.

“Schauen sie einem solchen Kind in die Augen und erklären ihm das”

Bitte schauen sie einem solchen Kind während der Chemotherapie in die Augen und erklären ihm, dass es die richtige Lösung ist, jede Chemotherapie in Innsbruck durchzuführen. Die oben beschriebene Situation war bisher schon viel zu oft die traurige Realität. Gerade weil in Dornbirn keine „vollständige“ Kinderonkologie bestand. Ein Beispiel: Leukämiekinder müssen immer wieder isoliert werden, da die körpereigene Abwehr zusammenbricht. Die dann notwendigen Isolierungszimmer mit Schleusen und Überdruckbelüftung existieren in Dornbirn schlicht nicht. Dann führt sowieso kein Weg an Innsbruck vorbei.

Wenn aber „nur“ die reine Verabreichung der Chemotherapie ansteht, lediglich eine Überwachung notwendig ist, auch dann werden die Familien nunmehr auseinander gerissen.
Zusätzlich zur emotionalen Belastung kämpfen die Familien künftig mit der bestehenden Überfüllung der Kinderonkologie Innsbruck. Oft genug ist es selbst für die Mama nicht möglich, beim Kind zu übernachten. Was bedeutet das für das totkranke Kind, völlig allein in einer fremden Stadt mitten in der Nacht von Schmerzen und Alpträumen geplagt aufzuschrecken und Mama ist einfach nicht da?

Eltern müssen im Hotel übernachten

Dann sind auch oft das Marienheim und das Ronald-McDonald-Haus in Innsbruck als Übernachtungsmöglichkeit für die Eltern ausgelastet. Das heißt, die Eltern müssen im Hotel übernachten. Nicht umsonst hängt eine Liste mit entsprechenden Telefonnummern in der Elternküche der Kinderonkologie Innsbruck. Sollten sich alle Betroffene nicht auf die schnellstmögliche Genesung konzentrieren können? Müssen sie sich auch noch um ihre wirtschaftliche Situation sorgen, weil sie wochenweise Hotelaufenthalte bezahlen müssen?

“Behandlungsmöglichkeiten in Dornbirn ausbauen”

Sie werden verstehen, dass vor diesem Hintergrund eine ausschließliche Behandlung durch die Kinderonkologie Innsbruck absolut indiskutabel ist. Im Gegenteil: notwendig ist, die Behandlungsmöglichkeiten in Dornbirn auszubauen und Aufenthaltszeiten in Innsbruck zu minimieren.

Ich darf mir an der Stelle einmal den Slogan der Ronald McDonald Kinderhilfe ausleihen: Nähe hilft heilen.

“Kinderseelen, die tiefe Narben tragen”

Bei aller sachlich zu führenden Diskussion, wir reden hier nicht über rationale Kostenfaktoren. Wir sprechen über die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft. Über Kinderseelen, die bereits tiefe Narben tragen, ohne von ihren Familien getrennt zu werden. Kinderseelen, die den möglichen Tod zu verarbeiten haben und die jetzt mit vielen weiteren Sorgen belastet werden.

Familie Stechert

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