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Nach Überlingen-Absturz

Gut drei Jahre nach dem Zusammenstoß zweier Flugzeuge über dem Bodensee hat am Dienstag in Zürich der Prozess gegen einen Russen begonnen, der den damals zuständigen Fluglotsen getötet haben soll. 

Der Angeklagte verlor bei dem Unfall seine Frau und zwei Kinder. Nach Justizangaben hat er gestanden, den dänischen Fluglotsen der Schweizer Flugsicherung Skyguide am 24. Februar 2004 auf der Terrasse seines Wohnhauses in Kloten mit zahlreichen Messerstichen umgebracht zu haben.

Vor der Schweizer Botschaft in Moskau verlangten rund ein Dutzend Demonstranten ein mildes Urteil und forderten, der Schweizer Flugsicherung müsse ein Prozess gemacht werden. Skyguide sei ein Schandfleck für die Schweiz, stand auf Transparenten. Der Däne saß zum Zeitpunkt des Zusammenpralls eines Passagierflugzeugs der russischen Bashkirian Airlines mit einer DHL-Transportmaschine allein in der Flugüberwachungszentrale der Flugsicherung.

Bei der Katastrophe am 1. Juli 2002 kamen 71 Menschen ums Leben, darunter 45 Kinder und Jugendliche. Die Staatsanwaltschaften von Konstanz und Winterthur haben die Untersuchung des Unglücks noch nicht abgeschlossen. Der Russe wurde am Tag nach der Bluttat in Kloten verhaftet. Er leugnete die Tat und deren Vorbereitung längere Zeit, sagte aber zum Abschluss der Strafuntersuchung, das Gericht könne davon ausgehen, dass er der Täter sei.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm nicht Mord, sondern vorsätzliche Tötung vor, weil besondere Skrupellosigkeit und verwerfliche Gesinnung nicht nachweisbar seien. Der Verteidiger will auf Totschlag plädieren, weil sich der Angeklagte zur Tatzeit in schwerer seelischer Bedrängnis befunden habe. Dem Russen droht eine mehrjährige Freiheitsstrafe.

Der 48-Jährige ist laut psychiatrischem Gutachten grundsätzlich zurechnungsfähig. Er befand sich bis zum Frühjahr wegen Selbstmordgefahr in einer psychiatrischen Klinik. Seither sitzt er in der Strafanstalt Pöschwies in Regensdorf bei Zürich ein.

Der Präsident der russischen Teilrepublik Nordossetien, Taimuras Mansurow, kam zum Prozess in die Schweiz. Beim Prozessauftakt waren zahlreiche russische Medien mit eigenen Reportern und Aufnahmewagen vertreten. Wegen Interferenzen der Sender mit der Lautsprecheranlage im Gerichtssaal musste die Verhandlung am Vormittag zwei Mal unterbrochen werden. In einer Online-Umfrage der Zeitung „Izwestia“ sprachen sich 69 Prozent der Teilnehmer für einen Freispruch aus.

Das Obergericht des Kantons Zürich muss klären, ob es ein lange geplanter Racheakt oder eine Tat im Affekt war. Die Befragung sollte am Dienstagnachmittag mit der Schilderung des Tattages fortgesetzt werden. Die Plädoyers wurden für den frühen Abend und das Urteil für Mittwoch erwartet. Witali K. hatte bereits zuvor gestanden, dass er sein Opfer am 24. Februar 2004 in Zürich-Kloten in dessen Haus aufgesucht hatte. An die Bluttat selbst kann er sich nach eigenen Angaben nicht erinnern.

Sichtlich bewegt und mit längeren Pausen schilderte der Bauingenieur vor Gericht den Verlust seiner Familie, die Gedenkfeier in Überlingen zum ersten Jahrestag des Absturzes und einen Besuch bei skyguide in Zürich tags darauf. „Ich beweine meine Kinder jeden Tag“, sagte er mit belegter Stimme. „Für mich war das Wichtigste, dass sich skyguide entschuldigt. Es war nicht mein brennender Wunsch, dass sie im Gefängnis sitzen, denn das hätte mir meine Familie nicht zurückgegeben.“

skyguide-Chef Alain Rossier habe sich in keiner Form entschuldigt, kritisierte der Angeklagte. Der Chef der Flugsicherung sei der Hauptverantwortliche für die Flugzeugkatastrophe gewesen, der Fluglotse habe nur Aufträge ausgeführt. Den Flugverkehrsleiter habe er im Februar 2004 in Zürich-Kloten aufgesucht, nachdem ein weiteres Treffen mit Rossier von skyguide Mitte Jänner 2004 plötzlich abgesagt worden sei. „Ich wollte wie ein Vater zu dem Fluglotsen gehen, der seine Kinder liebt, damit er sich die Fotos meiner Toten anschauen kann, damit er mich versteht und sich entschuldigt“, berichtete Witali K. An Gewaltanwendung habe er nie gedacht.

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