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Grüne gegen Aufnahme von "Staatsziel Wirtschaft" in die Verfassung

Hält die grüne Karte auch gegenüber dem Verfassungsausschuss des Nationalrats hoch: Umweltlandesrat Johannes Rauch.
Hält die grüne Karte auch gegenüber dem Verfassungsausschuss des Nationalrats hoch: Umweltlandesrat Johannes Rauch. ©VN/Paulitsch
Die fünf grünen Umwelt- und Klimaschutzlandesräte um den Vorarlberger Landesrat Johannes Rauch appellieren an die Mitglieder des Verfassungsausschusses, von der geplanten Verfassungsänderung Abstand zu nehmen. Derzeit fehlt der Koalition aber ohnehin ein Partner für eine nötige Zweidrittelmehrheit im Nationalrat.

Die NEOS hatten diese zunächst nach Verhandlungen zugesagt, dann aber wieder abgesagt, weil sie gegen geplante Änderungen bei den Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) sind, die ÖVP und FPÖ auch durchbringen wollen. Die SPÖ will zunächst eine Verankerung von sozialen Grundrechten in der Verfassung haben, dann erst könne man womöglich über ein Staatsziel Wirtschaft sprechen.

Das hält die Grünen nicht vor ihrer Warnung und von ihrem Appell ab. Sie appellieren dafür, dem “Klima- und Umweltschutz Vorrang einzuräumen”. Die Grünen Landespolitiker Johannes Rauch (Vorarlberg), Ingrid Felipe (Tirol), Heinrich Schellhorn (Salzburg), Rudolf Anschober (Oberösterreich) und Maria Vassilakou (Wien) “warnen” in ihrem Schreiben an die Parlamentarier “eindringlich vor diesem Regierungsvorhaben”. Denn es steht ja auch der politische Kompromiss der Textierung des Staatszieles “Wirtschaftsstandort” zwischen Bundesregierung und NEOS im Raum. Darin soll das Bekenntnis “zu einem nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort als eine Voraussetzung für Wohlstand und Beschäftigung” ergänzt werden.

Grundsätzlich dagegen

Die Grünen dazu: “Diese Adaptierung würde nichts daran ändern, dass die Umweltpolitik dieser Regierung die in der Vergangenheit erkämpfte Errungenschaften aufheben will und ihre Standortpolitik alleine auf Wirtschaftswachstum und auf damit Kosten der Umwelt und des Klimaschutzes gerichtet ist. Doch der Erhalt und die Sicherstellung unserer Umwelt und der Lebensgrundlagen aller darf nicht den Einzelinteressen von Wirtschaftstreibenden untergeordnet werden.”

Im Gegensatz zu den NEOS sind die Grünen also grundsätzlich gegen das Regierungsvorhaben, auch wenn der Begriff Nachhaltigkeit sich zum Staatsziel Wirtschaft gesellt. NEOS-Politiker Nikolaus Scherak hatte gegenüber der APA gemeint, seine Fraktion habe “die Nachhaltigkeit hineinverhandelt”. Nur gehe dies nicht mit den ÖVP/FPÖ-UVP-Plänen zusammen. Sollte sich bei der UVP etwas ändern, würden die NEOS die “Stopptaste” beim Staatsziel wieder lösen, nur betreibe Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) “totale Gesprächsverweigerung”, hieß es gestern von der parlamentarischen Oppositionspartei.

Aushöhlung geltender Staatsziele

Mit der ÖVP/FPÖ-Gesetzesinitiative soll in das Bundesverfassungsgesetz über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser und Lebensmittelversorgung und die Forschung eine neue Staatszielbestimmung “wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort” eingefügt werden.

Mit der Einführung eines Staatsziels “Wirtschaftsstandort” bezwecke die Bundesregierung laut dem Schreiben der Grünen Landesräte eine Relativierung, damit eine Schwächung und eine Aushöhlung der geltenden Staatsziele, insbesondere des umfassenden Umweltschutzes, kritisieren die Vertreter der Grünen. Bereits eine Umbenennung des Titels von “Bundesverfassungsgesetz über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung” in “Bundesverfassungsgesetz über Staatsziele” manifestiere eine Systemänderung.

Unmittelbare Relativierung

Auch wenn durch die geplante Novelle keine gänzliche Aufhebung dieses Schutzregimes festgeschrieben werde, so werde der umfassende Umweltschutz doch “maßgeblich durch das unmittelbar darauf folgende Bekenntnis zu einem wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort, Wachstum und Beschäftigung relativiert”.

“Seinerzeit war es dem Gesetzgeber ein Anliegen, dass der Schutz natürlicher Ressourcen und der Erhalt unserer Lebensgrundlagen eine verfassungsrechtliche Grundlage bekommt, um in den behördlichen Genehmigungsverfahren Berücksichtigung zu finden. Gerade unsere Umwelt und Natur haben im Gegensatz zu den Wirtschaftstreibenden keine starke Lobby und keine gesetzliche Interessensvertretung, um ihre Interessen im Verfahren einzubringen. Aus diesem Grund ist es wichtig und notwendig die Bewahrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen unter verfassungsrechtlichen Schutz zu stellen, um sicherzustellen, dass der Schutz unserer Umwelt gewahrt werden kann”, schreiben die grünen Landesräte.

Warnung durch Weltklimarat

Durch die Erläuterungen werde zudem eine Verpflichtung der Vollzugsorgane statuiert, “in jedem Einzelfall das öffentliche Interesse (…) an einer wettbewerbsfähigen Standortpolitik mit anderen öffentlichen Interessen zu vereinbaren”. In Einzelfällen jedoch werde der Umwelt- und Naturschutz nicht mit einem geplanten Projekt zu vereinbaren sein und es deshalb eine Versagung geben müssen, so die Annahme der Grünen. “Die Erläuterungen legen durch die gewählte Formulierung der verpflichtenden Interessensvereinbarung den Eindruck nahe, alle Bewilligungsansuchen seien zu genehmigen. Dies würde ganz klar eine einseitige Bevorzugung der wirtschaftlichen Interessen und eine Aushöhlung des Umweltschutzes bedeuten.”

Gerade der kürzlich vorgelegte Sonderbericht des Weltklimarates weise wissenschaftlich nach, dass bis zum Jahr 2030 eine Treibhausgasreduktion von mindestens 45 Prozent (gegenüber 2010) geschafft werden müsse, damit eine Beschränkung der Temperatursteigerung mit 1,5 Grad Celsius erreichbar sei. “Der Weltklimarat warnt bereits vor den Konsequenzen von selbst einem Grad Erderwärmung – wie mehr Extremwetter, steigende Meeresspiegel, schwindende Gletscher und arktisches Meereis und andere Veränderungen”, so Anschober, Rauch, Vassilakou und Co.

Also müsse dem Klima- und damit Umweltschutz Vorrang eingeräumt werden, damit Österreich seinen Beitrag zur Abwendung der Klimakatastrophe leisten könne. “Sehr geehrte Mitglieder des Hohen Verfassungsausschusses, vor einer Verwässerung des Bundesverfassungsgesetzes über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser und Lebensmittelversorgung und die Forschung warnen wir daher ausdrücklich”, schreiben die fünf Grünen-Landesräte.

(APA/red)

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